Einen neuen Zusammenhalt in unserem Land begründen. Dieses Ziel formuliert Angela Merkel als Aufgabe bis 2021. Die Bundesregierung habe sich dafür die richtigen Ziele gesetzt, betont sie in ihrer ersten umfassenden Regierungserklärung als neugewählte Bundeskanzlerin. „Ich möchte alles dafür tun, dass die Menschen am Ende der Legislaturperiode sagen: Unsere Gesellschaft ist menschlicher geworden und der Zusammenhalt gewachsen“, sagt die CDU-Vorsitzende.
Die Ausgangslage stimmt
Deutschland steht gut da, bilanziert Angela Merkel: Weniger Arbeitslose, Rekorde bei Erwerbstätigkeit, der Bund macht keine neuen Schulden und gibt doch so viel Geld wie nie zuvor für richtige Investitionen in die Zukunft. „Dennoch machen sich viele Menschen sorgen um die Zukunft“, betont sie. Der Eindruck sei: Der Zusammenhalt ist geringer geworden. Sowohl bei Deutschen unter sich als auch im Verhältnis der Deutschen zu den Migranten. „Die Frage, ob die Soziale Marktwirtschaft ihr Wohlstandsversprechen halten kann, bewegt viele Menschen.“ Diese Frage habe auch CDU, CSU und SPD bei der Regierungsbildung umgetrieben. Und: „Wie können wir die richtigen Antworten geben?“
2015: „Humanitäre Ausnahmesituation“
Merkel analysiert, die Debatte zur Flüchtlingskrise 2015 habe „unser Land bis heute gespalten und polarisiert“. Der Satz ‚Wir schaffen das‘ sei zu einer Art Kristallisationspunkt dieser Auseinandersetzung geworden, so Merkel. „Zur ganzen Wahrheit gehört, dass wir alle zu lange nur halbherzig reagiert haben. Oder hofften, dass uns diese Probleme nicht treffen würden.“ Das sei naiv gewesen. Zu spät habe man die Situation an den Grenzen zur EU realistisch zur Kenntnis genommen. Die EU-Außengrenzen seien nicht ausreichend gesichert worden. Das EU-Asylabkommen habe nicht gehalten, was es versprochen hatte.
„Unglaubliche Bewährungsprobe für unser Land“
Deutschland habe 2015 rund 850 000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen und nicht abgewiesen. „Wir haben sie als Menschen in Not aufgenommen.“ Auf allen Ebenen sei dies eine „unglaubliche Bewährungsprobe für unser Land“ gewesen. „Und trotzdem haben wir diese Aufgabe im Großen und Ganzen bewältigt.“ Darauf dürfe man stolz sein.
Fluchtursachen bekämpfen
Aber die Situation von 2015 dürfe sich nicht wiederholen, betonte Merkel, „sonst hätten wir nichts gelernt“. Sie verweist auf das EU-Türkei-Abkommen, das sie immer verteidigen werde. Dies sei besser, als tatenlos zuzusehen. Gleichzeitig gab es deutliche Kritik an der Türkei wegen des Vorgehens in Afrin: „Das verurteilen wir auf das Schärfste“.
Auch in Libyen versuche man ähnliches zu erreichen. Gleichzeitig seien die deutschen Hilfen an das Flüchtlingshilfswerk UNHCR deutlich gestiegen, denn: „Wir müssen die Fluchtursachen umfassend und entschieden bekämpfen.“ Dazu suche man eine neue Partnerschaft mit Afrika. Gleichzeitig müsse man aber auch die Außengrenzen der EU besser sichern und die Zusammenarbeit der EU-Staaten verbessern.
Islamismus verhindern
Es sei nicht zu leugnen, dass auch IS-Kämpfer und Terroristen gekommen seien, so Merkel. „Unsere freiheitliche Gesellschaft wird sich ihre Art zu leben nicht durch Terroristen zerstören lassen.“ Deutschland biete Zuflucht, fordere aber auch Rückreise abgelehnter Bewerber, notfalls durch staatliche Rückführungen. Ziel bleibe ein EU-einheitliches Asylsystem. Nach Deutschland sollen so pro Jahr nicht mehr als 180 000 bis 220 000 Flüchtlinge kommen. Und: Wer bleiben darf, muss sich integrieren und wird dabei unterstützt.
Zusammenleben stärken
Es stehe außer Zweifel, dass die Zuwanderer seit den 1960er Jahren den deutschen Wohlstand miterarbeitet hätten. Aber sie hätten oft auch als erste ihren Job verloren. Daraus seien zu oft Parallelgesellschaften entstanden. Die Zuwanderung 2015 habe dazu geführt, dass diese Probleme des Zusammenlebens wie unter einem Brennglas sichtbar wurden, legt Merkel dar.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das sei der Grundsatz unseres Zusammenlebens. Das müsse unser Rechtsstaat überall durchsetzen, „an jeden Ort in unserem Land“, fordert Merkel. Deshalb werde es einen Pakt für den Rechtsstaat geben, zum Schutz aller überall, ohne Toleranz von Gewalt.
Christlich-jüdische Prägung
„Viele Menschen fragen ganz grundsätzlich nach dem Zusammenhalt unserer Gesellschaft“, betont die Bundeskanzlerin. Globalisierung und Digitalisierung machten diese Fragen immer dringlicher. „Es steht völlig außer Frage, dass die Prägung unserer Gesellschaft christlich und jüdisch ist“, betont sie. Es stehe aber genauso außer Frage, dass auch die 4,5 Millionen Muslime Teil Deutschlands sind.
Um vor diesem Hintergrund den Zusammenhalt aller zu stärken, müsse man sich mehr um Strukturen in Kirchen und Moscheen kümmern. Gast-Imame aus der Türkei oder dem Nahen Osten reichten nicht mehr aus. „Bund und Länder müssen zukunftsfähige Strukturen finden.“
Das Wohlstandsversprechen einlösen
Die Bundeskanzlerin fordert gleichzeitig: „Wir wollen erreichen, dass der übergroße Wohlstand unseres Landes allen zugutekommt.“ Zur Entlastung der Familien gebe es ein höheres Kindergeld und höhere Steuerfreibeträge. Alleinerziehende würden zusätzlich entlastet, der Kinderzuschlag erhöht. „Kinderarmut in einem reichen Land wie Deutschland ist eine Schande“, bekräftigt die CDU-Vorsitzende.
Mit steuerlichen Entlastungen sollen die Menschen mehr Gestaltungspielraum bekommen – sowohl bei der Einkommensteuer als auch beim Soli. Durch solide Finanzen werde man die Generationengerechtigkeit stärken. Für Familien wolle man ein Baukindergeld einführen und so den Erwerb von Wohneigentum fördern. Gleichzeitig werde man die Wirksamkeit der Mietpreisbremse prüfen und mit einer Wohnraumoffensive 1,4 Millionen neue Wohnungen bis 2021 fördern.
Teilhabe verbessern
Gute Bildung und Ausbildung seien der Schlüssel zur Teilhabe. Daher werde die neue Bundesregierung einen Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter einführen. Die Qualität der Kita-Betreuung soll weiter verbessert werden. „Herkunft darf den Erfolg oder Misserfolg in der Schule nicht bestimmen.“
An den Schulen werde es eine Investitionsoffensive geben. Dafür werde das Grundgesetz geändert. Der Berufsbildungspakt soll die Ausbildung stärken: „Jetzt sind auch einmal die Berufsschulen dran und die berufliche Ausbildung.“
Soziale Sicherung: viel erreicht, viel vor
In der sozialen Absicherung sei viel getan worden, so Merkel, „aber jeder spürt: Es reicht nicht“. In der Pflege trügen nach wie vor die Angehörigen die größte Bürde. Sie seien „die stillen Helden unserer Gesellschaft und leisteten einen großen Beitrag zur Menschlichkeit unserer Gesellschaft“. Deshalb wolle die Bundesregierung die Pflegekräfte unterstützen – durch Bezahlung nach Tarif, Abschaffung von Ausbildungskosten und Einführung von Ausbildungsvergütungen überall.
Das Gesundheitssystem müsse verbessert werden. „Gute Versorgung überall und für alle“ sei eine Selbstverständlichkeit, aber auch eine Aufgabe. Deshalb wolle die Bundesregierung unter anderem „regionale Zuschläge für Landärzte“ sowie eine bessere Vergütung für Hausärzte.
Sicherheit im Alter
Gegen Altersarmut werde die neue Grundrente künftig 10 Prozent oberhalb der Grundsicherung liegen. Die Erwerbsunfähigkeitsrente wird weiter verbessert, die Mütterrente ausgeweitet. In der gesetzlichen Rente werden die Ansprüche bis 2025 auf 48 Prozent festgeschrieben. Die Beiträge steigen in dieser Zeit nicht über 20 Prozent. Die Zukunft nach 2025 müsse aber geregelt werden. Eine Rentenkommission soll ein generationengerechtes und finanzierbares Rentensystem der Zukunft ausarbeiten. „Dieser Aufgabe stellen wir uns jetzt“, betont Merkel.
Dass man in der Stadt und auf dem Land auch künftig gleichermaßen gut leben könne, sei eine Querschnittsaufgabe im erweiterten Innenministerium.
Arbeit für alle
Die Bundesregierung stehe zu ihrem Ziel: Vollbeschäftigung bis 2025. Das betonte die Kanzlerin. Dafür werde man die Wirtschaft stärken, ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz erarbeiten und Arbeitslose fortbilden. Für Langzeitarbeitslose soll ein durchlässiger sozialer Arbeitsmarkt entstehen.
Die Digitalisierung verändert die Rahmenbedingungen der Wirtschaft „rasant und disruptiv“, legt die Bundeskanzlerin dar. Es gebe „epochale Veränderungen“. Unternehmen will die Bundesregierung daher stärken, indem sie ein neues Steuersystem für Firmen einführt, Genehmigungsverfahren beschleunigt, kürzere Abschreibungsfristen einführt und die direkte Förderung ausbaut. Dazu soll die digitale Infrastruktur bis 2025 schnelles Internet überall und für alle bieten. Klar sei: „Die Wirtschaft schafft die Arbeitsplätze, die wir brauchen.“
Auf Veränderungen vorbereitet sein
„Was immer digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden“, prophezeit Merkel. Schon jetzt ermögliche digitale Technologie Stückzahl 1 statt Massenproduktion. Künftig werden Maschinen zu lernenden Systemen. „Das Tempo des Handelns wird zum entscheidenden Faktor unserer Sozialen Marktwirtschaft.“ Die Politik müsse dafür den Rahmen abstecken
Beim Datenschutz stelle sich schon heute die Frage, soll es Monopole geben oder ein „faires System des Dateneigentums“. Die Bundesregierung will einen Digitalrat gründen zu ihrer Beratung sowie einen Digitalausschuss im Bundestag etablieren.
Merkel: „Abschottung schadet allen“
„Handelsschranken widersprechen dem Zeitgeist“, betont Merkel in ihrer Rede. Deshalb sei die EU von Beginn an ein Glücksfall, „gerade für uns Deutsche“. Denn: „Die Welt um uns herum ist ungemütlich und unübersichtlich“, Kriege und Krisen gebe es derzeit direkt an den Grenzen zur EU. „All das findet heute vor unserer Haustür statt.“
„Unsere Zukunft liegt im Zusammenhalt Europas“, ist sich Merkel sicher. „Nur gemeinsam können wir unsere Souveränität, unsere Werte und unseren Wohlstand verteidigen“. Genau das werden die zentralen Themen beim kommenden EU-Rat sein: Die EU ohne Großbritannien sowie die langfristige Zukunft der Währungs- und Wirtschaftsunion und der Stabilität in der Eurozone. Es gehe um Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten und eine „Gesamtarchitektur der Eurozone“.
„Ich möchte alles dafür tun, dass am Ende der Legislaturperiode erkennbar ist: Wir haben einen neuen Aufbruch für Europa erreicht.“
JUK