Flut-Versicherung: Experten fordern Hilfe für Härtefälle

Fachleute geben Sachsens Ministerpräsident Tillich Rückendeckung

Leipzig. In der Debatte um Versicherungsschutz in möglichen Hochwassergebieten erhält Stanislaw Tillich (CDU) Rückendeckung von Experten. Sachsens Ministerpräsident fordert zumindest für Neubauten eine Pflichtversicherung. Vor dem Hintergrund, dass vielen Flussanrainern von der Versicherungswirtschaft kein Schutz mehr angeboten wird, verlangen auch Fachleute eine wirksame Lösung.
Von Andreas Friedrich und Andreas Dunte
Für Ökonom Joachim Ragnitz macht eine Pflichtversicherung Sinn, Verbraucherschützer Betz plädiert für eine Versicherungspflicht, Risikoforscher Christian Kuhlicke fordert eine gezielte Hilfe für Flussanrainer. Die Modelle unterscheiden sich leicht, im Kern haben sie das gleiche Ziel: Wirksamen Schutz für Hausbesitzer in absoluter Flussnähe. Denen bieten die Versicherungen keine Policen an oder ihre Angebote sind unbezahlbar. Weil diese Grundstücke aber bei den nächsten Hochwassern wieder überflutet sein könnten, halten Ökonomen, Soziologen und Verbraucherschützer einen wirksamen Schutz für unerlässlich. Denn: Umgesiedelt werden können die Betroffenen nicht. Es handelt sich zum Großteil um Bewohner von Altstädten wie Grimma, Pirna, Döbeln und anderen Risikogebieten.
Für Joachim Ragnitz, Vize-Chef des Ifo-Instituts in Dresden, kann dies nur eine Pflichtversicherung leisten. Allerdings keine mit Einheitsprämien, sondern mit je nach Hochwasserrisiko differenzierten Beiträgen. Es sei nicht die Aufgabe des Staates, private Akteure vor Risiken zu schützen, wenn es privatwirtschaftliche Lösungen wie Versicherungen gebe. “Wenn es kein Hochwasser gibt, genießen die Immobilienbesitzer den schönen Ausblick beziehungsweise können höhere Mieten einstreichen. An diesen Vorzügen ist der Staat auch nicht beteiligt. Weshalb sollte er sich dann am Schaden im Fall einer Flutkatastrophe beteiligen?”
Durch eine solche würde auch der massiven Überbewertung der Immobilien entgegengewirkt. Durch den Automatismus staatlicher Hilfen bei Flutschäden sei der Wert dieser Häuser stark überhöht. Ragnitz spricht sich auch deshalb gegen staatliche Hilfen nach jedem Hochwasser aus, denn “dann erlahmt natürlich private Vorsorge, und letzten Endes gibt es auch keinen Anreiz dafür, sich privat gegen Flutschäden oder andere Naturkata- strophen zu schützen”. Eine Versicherungspflicht müsse daher nach Schadensereignissen und Risiken differenzieren.
Verfechter einer Versicherungspflicht ist auch Joachim Betz, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Sachsen. Er plädiert für ein Modell ähnlich der KFZ-Haftpflicht. “Alle Elementarschadenrisiken von Hochwasser über Sturm und Hagel müssten in eine solche Versicherung. Die Prämien werden abgestuft nach der Wahrscheinlichkeit eines Eintritts dieser Risiken berechnet.” Für den Fall, dass alle Risiken gleichzeitig eintreten, müsse der Staat eine Ausfallgarantie übernehmen. Das sei immer noch günstiger, als immer wieder Steuergeld für die Flut-Soforthilfe aufzubringen.
Auch Christian Kuhlicke, Experte für Risikomanagement am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung Leipzig, mahnt, Härtefälle nicht allein zu lassen. Er führte im Rahmen einer Studie eine Befragung von Hochwasser-Betroffenen durch. Demnach sei die Mehrheit zwar versichert, zehn Prozent wollen oder können sich aus eigener Entscheidung eine Versicherung nicht leisten und zehn Prozent bekämen keine Versicherung mehr angeboten. “Das sind Bewohner von Altstädten, die kann man nicht umsiedeln, die werden also immer wieder von Hochwasser betroffen sein, denen muss man helfen”, so Kuhlicke. Möglich seien eine staatliche Kompensation im Schadensfall oder auch eine Versicherungspflicht mit differenzierten Beiträgen. Je größer die Hochwassergefahr, desto höher Versicherungsprämie und Selbstbeteiligung. “Nach dem Prinzip funktioniert das Versicherungssystem. Und es funktioniert für 80 Prozent der Kunden sehr gut”, so Kuhlicke. Doch es biete eben keine Lösung für Härtefälle an.
Für eine Versicherungspflicht ist nach Einschätzung von Experten jedoch eine große politische Überzeugungsarbeit nötig. Es muss klar gemacht werden, dass auch die fern jeglicher Flüsse wohnenden Versicherungskunden davon profitieren, in dem sie etwa gegen Hagel, Stürme oder andere Extremereignisse versichert wären.
@Das ausführliche Interview mit Joachim Ragnitz zu Hochwasser-Versicherungen und besserem Bürgerschutz: www.lvz-online.de/download

LVZ 22.04.2014