Block

Zschadraßer Schandfleck verschwindet

Verwaister Block einstiger Klinikmitarbeiter vor Abriss / Innenstaatssekretär übergibt Fördermittelbescheid über 72 000 Euro.

Colditz/Zschadraß. “Nur Zelten ist billiger”, mit diesem zugegeben markigen Spruch wird in Zschadraß um Mieter geworben. Dennoch stehen nicht wenige der Wohnungen in den sanierten Blöcken aus DDR-Zeiten leer. Das könnte sich ändern, sobald der Schandfleck des Areals beseitigt ist. Dessen Tage sind gezählt: Der direkt an der Zschadraßer Hauptstraße befindliche, verwaiste Dreigeschosser 20 bis 26, dessen Fenster und Türen mit Brettern verbarrikadiert sind, soll bis zum Jahresende abgerissen werden. Gestern übergab Innenstaatssekretär Michael Wilhelm einen entsprechenden Fördermittelbescheid über 72 000 Euro an Bürgermeister Matthias Schmiedel (parteilos). Der wird die Summe an die zuständige O. K. Haus- und Immobilienverwaltung GmbH weiterleiten.

Die 73-jährige Hannelore Schmiel kann sich noch gut erinnern, wie sehr sie sich damals gefreut hatte, eine der begehrten Wohnungen in dem Block für Klinikmitarbeiter beziehen zu dürfen: “Das war 1967 und ein Glücksfall für unsere Familie”, erzählt die Rentnerin, die als Friseurin in der Klinik gearbeitet hatte: “Küche, Bad, Wohnzimmer – und zum Fest kam der Weihnachtsmann hoch zu Ross, es war immer schön.” Schmiel gehörte mit Christiane Ludwig zu den allerletzten Mietern, die vor rund zehn Jahren den “Altbau” verlassen hatten und in die benachbarten sanierten Wohnblöcke zogen. “Ich bin froh, dass die Ruine endlich verschwindet. Wie sieht denn das aus? Wer will schon neben so einen Schandfleck ziehen? Vielleicht stehen in unseren Blöcken auch deshalb manche Wohnungen leer.”

Innenstaatssekretär Wilhelm ließ es sich gestern nicht nehmen, den Fördermittelbescheid persönlich in Zschadraß zu überbringen: “In der Vergangenheit hatten Kommunen bei abbruchreifen Gebäuden kaum Handhabe, sofern die Liegenschaften in privatem Besitz waren”, sagte Wilhelm: “Sachsen hat deshalb beim Landesprogramm ,Rückbau Wohngebäude’ den Fokus auf private Eigentümer gelegt.” Im Programm stünden in diesem Jahr 900 000 Euro zur Verfügung. Gefördert würden die nachgewiesenen Kosten, höchstens jedoch bis zu 50 Euro je Quadratmeter zurückgebauter Wohnfläche, hieß es.

Der Innenstaatssekretär zeigte sich gut unterrichtet über die Vorgänge in Colditz. Vielleicht lag das auch an seinem Bekannten, Johannes Freitag, der ebenfalls bei der Übergabe des Bescheids anwesend war. Freitag ist Chirurg in Dresden: “Ich war früher in Colditz mit Bürgermeister Matthias Schmiedel in die Schule gegangen. Ich bin mit ihm genauso befreundet wie mit dem Innenstaatssekretär, dem ich vor Jahren den Blinddarm entfernt hatte, und den ich seitdem über die Geschehnisse in meiner alten Heimat Colditz auf dem Laufenden halte.”

Sven Rozsahegyi, Prokurist der O. K. Haus- und Immobilienverwaltung, die in Kliniknähe 130 Wohnungen vorhält, kündigt den Abriss des Blockes Zschadraßer Hauptstraße 20 bis 26 zum Jahresende an: “Jedenfalls ist das eine Auflage.” Vor einigen Jahren hatte seine Gesellschaft bereits einen ersten Anlauf genommen, den verwaisten Block abzureißen. Doch damals sei der Fördermittelantrag ins Leere gelaufen. “Wir erhoffen uns von dem Abriss eine spürbare Aufwertung des Areals.”

Dezernent Dirk Rasch, Landtagsabgeordneter Svend-Gunnar Kirmes (CDU) sowie Stadträte verschiedener Fraktionen erlebten einen sichtlich bewegten Bürgermeister Schmiedel, der seine Kindheit als Arztsohn in Zschadraß verbrachte: “Früher waren Ärzte und Personal komplett im Klinikgelände ansässig. Das hat sich geändert. Inzwischen wohnen die Beschäftigten des Klinikums in der gesamten Region, die meisten Ärzte in den Großstädten.” Den aktuellen Förderbescheid wertet er als ein Bekenntnis zum Zschadraßer Standort mit über 400 Arbeitsplätzen. Natürlich hätte er lieber Fördergelder für einen Neubau entgegen genommen, so Schmiedel, doch müsse dem demografischen Wandel Rechnung getragen werden: “Selbst wenn angesichts des Abrisses manch einstigem Mieter schwer ums Herz wird, so bietet der Rückbau doch die Chance, die Attraktivität des verbleibenden Wohnbestandes zu erhöhen.”

Das sieht Bernd “Bimbo” Schneider ähnlich. Der 67-jährige einstige Pfleger wohnt in Sichtweite zur Ruine, die einst das Zuhause seiner Familie war: “Es tat weh, als dort zuletzt die Scheiben eingeworfen wurden. Insofern ist es gut, wenn der Block nun verschwindet.” Haig Latchinian

Bild: Vorm abzureißenden einstigen Wohnblock: Prokurist Sven Rozsahegyi, Innenstaatssekretär Michael Wilhelm, Landtagsabgeordneter Svend-Gunnar Kirmes, Mieter Bernd Schneider, Bürgermeister Matthias Schmiedel und Dezernent Dirk Rasch (v.l.).

Foto: Haig Latchinian

LVZ Muldental vom 14.05.2014