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Am Anfang einer wichtigen Entwicklung

Am Anfang einer wichtigen Entwicklung

Im Gymnasium St. Augustin diskutieren Politiker und Bürger über die Zuwanderungspolitik Sachsens

Grimma/Borna. “Wir werden mit der Zeit Deutsche aus aller Welt”, sagt Landtagsabgeordneter Martin Gillo (CDU). Der sächsische Ausländerbeauftragte ist sicher, dass bis 2035 in Deutschland mehr als 50 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund haben werden. Am Dienstagabend fand die Veranstaltung im Rahmen der Interkulturellen Woche 2012 im Gymnasium St. Augustin statt. Rund 25 Teilnehmer diskutierten nach dem Vortrag mit dem Landtagsabgeordneten Svend-Gunnar Kirmes (CDU), der Bundestagsabgeordneten Katharina Landgraf (CDU) sowie dem Schuldirektor Wolf-Dieter Goecke.
Die entscheidende Frage sei: Wie kann Zuwanderung in Sachsen konstruktiv funktionieren? Der Begriff Zuwanderung umfasse, für Gillo, drei Bereiche: Menschen unterstützen, die es brauchen; Identität erhalten und Zukunft sicherstellen. Aktuell habe in Deutschland jeder Fünfte einen Migrationshintergrund. Es muss angemerkt werden, dass es im Muldentalkreis aktuell 1,8 Prozent sind
“Die Fremdenfeindlichkeit ist uns angeboren.” Gillo begründet dies über den Aufbau des menschlichen Gehirns und die innersten Triebe. Aber: Mit der evolutionären Entwicklung des Großhirns, dem Sitz der menschlichen Intelligenz, sei den Menschen die Möglichkeit gegeben worden, dass zu erkennen und dagegen zu arbeiten.
Damit Integration auch funktionieren könne, müssten Gemeinsamkeiten erarbeitet werden, dabei könnten Wertearbeit und Bildung verbinden, so Gillo. “Wir müssen erkennen, dass wir alle Menschen sind”, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete im Anzug mit Turnschuhen.
Denn bis 2020 werde die Einwohnerzahl im Landkreis Leipzig um acht Prozent sinken. Fachkräfte aus dem Ausland seien dann gefragt, um die Wirtschaftskraft zu erhalten. Ein Problem in Sachsen ist, dass “elf Prozent aller Studenten aus dem Ausland kommen”, erklärt Gillo, “aber viele gehen im Anschluss in andere Bundesländer”. Es könne nicht sein, dass der Freistaat die Ausbildung finanziere und im Anschluss andere davon profitierten.
Ein anderes Problem ist die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse. Das Berufsqualifikationsfeststellungsesetz (BQFG) ist am 1.April 2012 in Kraft getreten, “für Heil- und Handwerksberufe” , sagt Gillo. Außerdem wisse er, dass es in den kommenden Monaten an dieser Stelle weiter voran gehen soll.
“Es ist bereits viel geschehen in den letzten fünf Jahren”, sagt die Bundestagsabgeordnete Landgraf. Damals wären solche Unterhaltungen noch unmöglich gewesen. Das Wort der Zukunft sei Bildung. “Die Leute auf dem Land sind festgefahrener”, so Landgraf, wenn sie etwa Berlin und Grimma vergleiche. Aber in Zukunft müsse und werde sich das ändern.
Die andere Seite der Zuwanderung sind die Asylbewerber, die nicht als hochqualifizierte Fachkräfte nach Sachsen kommen, sondern als politische Flüchtlinge. “Sie sagen, wir haben Angst vor Fremden”, sagt Helga Schneider vom Projekt Flüchtlingshilfe der Diakonie Leipziger Land, “aber wo sollen sie sich präsentieren?” Die Asylanten würden verzweifeln, weil sie vom Heim in Bahren nicht einmal bis nach Leipzig fahren dürften, wenn sie eine Arbeit haben wollen. “Die Wirtschaft muss die Leute akzeptieren”, antwortet Gillo. Dazu müsse an der Duldung gearbeitet werden. Denn meist werde im Rhythmus von drei Monaten verlängert – eine sogenannte Kettenduldung.
So einen Fall erlebt ein Iraner gerade im Asylbewerberheim Elbisbach. “Seit zwölf Jahren ist er geduldet, zwei Verfahren worden abgelehnt”, sagt Sandra Münch vom gemeinnützigen Bornaer Verein Bon Courage. Mittlerweile klage der Iraner gegen diesen Zustand, berichtet dieser selbst in astreinem Deutsch in der Aula des Gymnasium St. Augustin. Gillo wolle einen Härtefallantrag prüfen lasse, sagt aber später noch, dass dies nur möglich sei, wenn keine Verfahren mehr laufen. “Wir sind noch am Anfang einer Entwicklung”, erklärt Gillo. Matthias Pöls

Hochrangige Gruppe: Wolf-Dieter Goecke (v.l.), Katharina Landgraf, Svend-Gunnar Kirmes und Martin Gillo diskutieren mit Bürgern über Zuwanderung. Foto: Matthias Pöls